Mein sehr geschätzter Kollege Joe berichtet zuweilen von seiner Arbeit in einem Gefängnis von Kalifornien, wo er als Wiccaner die Seelsorge vor Ort übernommen hat. Die US-Amerikaner sind in Punkto Religions- und Meinungsfreiheit ein ganzes Stück weiter als wir. Obwohl … ich sollte besser sagen: anders als wir, denn dadurch haben sie wiederum eigene Probleme. Aber jedenfalls ist die Selbstverständlichkeit, mit der man sich zu einer, für andere obskuren, Religion bekennen kann und niemand sagt etwas dagegen, wohltuend zu beobachten.

In seinem aktuellen Artikel schreibt er davon, wie er endlich durchgesetzt hat, dass er mit seinen Insassen-Schäflein die vier Hochfeste mit einem Festessen begehen darf. Man muss dazu sagen, dass das keine leichten Jungs sind, sondern schon gestandene Verbrecher, die es verdient haben, weggeschlossen zu werden, das sagt er selber. Dennoch finde ich es schön, dass er es mit Geduld und Liebe geschafft hat, sich in jedem Block einen Kreis aufzubauen und sich die Knastbrüder mit Hingabe der Sache annehmen. Denen ist es nicht peinlich und sie machen das nicht nur aus Langeweile.

In einem früheren Beitrag hatte ich die Hexenseelsorge-Problematik in Deutschland anhand der Briefe eines Freundes von mir geschildert und ich muss ehrlich sagen: Ich bin immer noch keinen Schritt weiter. Wenn ich jetzt lese, wieviel ehrliche Anstrengung Joe durchmacht, um sich des Themas wirklich anzunehmen, dann ziehe ich meinen Hut.

Er hat zugegebenermaßen aber auch nicht die deutsche Bürokratie im Weg, die sich selber nicht einig ist, wie sie argumentieren soll und zur Not einfach im Kreis dreht. In Amerika gehst Du in eine offizielle überkonfessionelle Chaplain-Academy, wo man die akademischen Prinzipien, aber keinen theologischen Kurs absolviert und kann dann frei walten.

Bei uns … bei uns …

[ja?]
[Es führt ins Nichts.]
[was?]
[Dieser Artikel.]
[wieso denn? du musst doch jetzt nur die bedingungen aufzählen unter denen du auch hier so eine akademie absolvieren kannst]
[Genau das ist es. Es gibt keine Möglichkeit, es geht nicht.]
[alles geht]
[Nicht zu meinen Lebzeiten. Wir tun zwar, als wäre dem nicht so, aber wir sind ein christlich dominierter Staat, erst recht nach dem letzten Wahlergebnis. Alles andere wird unterdrückt und die Heiden reiben sich in fruchtlosen Grabenkämpfen auf. Sie sind damit zufrieden, eine belächelte Untergrundorganisation zu bleiben. Selbst Gangsta-Rap ist mittlerweile erwachsener geworden.]
[vielleicht ist es besser so …]

Auf jeden Fall blockt bei uns gleich alles ab mit dem Verweis auf „anerkannte Religionsgemeinschaft“ und einer „nicht vorhandenen Erlaubnispflicht für einen Seelsorger“ und weil es nicht geregelt ist und wegen mangelnder Lobby-Arbeit auch nie geregelt werden wird, kann auch nie eine Hexe in einem deutschen Gefängnis Rituale durchführen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das überhaupt gewollt hätte. Das kostet doch viel Überwindung und Selbstbewusstsein.

Je mehr ich darüber nachdenke, was ich tun müsste, um diese anscheinlich einfache Tat (im Gefängnis ein Samhain-Essen zu veranstalten) auch hier durchzuführen, wird mir ganz schwindelig. In den USA gibt es genau ein einziges kleines Wort als Argument, das all meine Hindernisse wegwischt: Religionsfreiheit.

Konsequenz: Wir haben keine Religionsfreiheit. Vielleicht eine abgeschwächte: Wir dürfen sagen, was wir wollen über andere Religionen und sie auslachen, aber bloß nicht an deren Pfründen zapfen.

[Sehr gut. Wieder eine Ausrede mehr, wieso ich nichts unternehmen brauche.]
[ich sagte doch: vielleicht ist es besser so …]