Ich war wieder bei unserem hiesigen Stammtisch „Zum rauchenden Zauberstäbchen“. Das Wetter war schön, also konnte man draußen sitzen, da stören die Zigaretten nicht so.

Dort hatte ich eine surreale Begegnung mit einem gewissen „Zauberer Sharan“, der zu seinem Unglück an meinem Tisch saß. Er sah auf den ersten Blick recht normal aus: Mittleren Alters, gestreifter Pulli, kleines Pentagramm, freundlicher Ausdruck, alkoholfreies Bier (Das hätte mich schon stutzig machen müssen. Die Iren sagen: Traue keinem, der nicht trinkt. Aber vielleicht muss er ja fahren…) und an seiner Seite eine gut erzogene Tochter in angehender Pubertät. Da hatte ich schon üblere Typen erlebt.

Ich bin nicht aufdringlich, ich muss mich nur immer einmischen. Wenn es sich lohnt. Ich kämpfe nicht gegen Windmühlen und vermeide absehbare Niederlagen.

Hier jedoch wurde ich in den Strudel der Argumentation hineingerissen wegen einem provokantem Thema, das mir nahe geht. Ich unterhielt mich mit meiner Nachbarin gerade darüber, wo sie sich welche Rune hintätowieren ließ, als ich überhöre, dass er stolz erzählt, seine Tochter führe mit der Schule von einer Konzentrationslager-Gedenkstätte zur nächsten, um die sich anzusehen.

Ich (empört): „Sie sammelt KZs?“

Er (aufrichtig empört): „Sie sammelt die nicht, sie sieht sie sich an. Jedes KZ ist anders.“

Meine Nackenhaare sträuben sich bei dem Gedanken an ein Gedenkstättenhopping, als wäre das eine Art Disneyland. Ich war einmal in Dachau. Das ist ganz üble Medizin. Vielleicht liegt das an mir, aber ich mag Hinrichtungsstätten generell nicht. Auch historische Galgen oder Folterkeller in Burgen machen mir Bauchweh. In der Gaskammer fühlte ich mich wie ein Werwolf bei Vollmond in einer Sickergrube. Meine Beine konnten sich kaum bewegen, mein Atem ging schwer, das Zeitgefühl schwindet. Schrecklich. Die Fähigkeit der Menschen zu ausgeprägter Bosheit ist für mich überwältigend. Seitdem sind KZs für mich ein Tabu, im Voodoo-Sinne.

Und wenn ich dann höre, dass junge Menschen voller Faszination von einem KZ zum anderen fahren, dann bin ich verwirrt.

„W-w-wieso macht sie das?!“
„Die Lehrer möchten die gesamte Ausbreitung des Holocausts darstellen. Im Sommer fahren sie nach Warschau.“
„Worauf hinaus? Ich war mal in einem KZ, das war einprägsam genug.“
„Das sehe ich anders.“
„Wie anders? Was gibt es da zu sehen?“

Er lächelt dieses typische Lächeln, das mir zeigt, wie nachsichtig er mit meiner Ignoranz umgeht, dass ich einfach noch nicht so weit bin, den Sinn zu verstehen, wenn ich aber mal so groß bin wie er, dann käme das von selbst, jetzt sei die Diskussion zu Ende.

Ich unterhalte mich weiter mit den anderen um mich herum, es wird noch sehr lustig, dann aber nutzt er eine Gelegenheit, als ich gerade abgelenkt bin, um zu fragen: „Bist Du neu?“
„Ja.“
„Was machst Du eigentlich?“

Er beugt sich etwas vor, weil vielleicht nicht jeder meine Antwort mitbekommen soll und macht ein weises Gesicht. Ich bin schon wieder ehrlich verwirrt ob des unerwarteten Themenwechsels.

„Wie meinst Du das?“
„Beschäftigst Du Dich mit Magie?“
„So wie jeder andere Mensch auch, ja.“
An seinem Blick erkenne ich, dass er beschließt, über diese offensichtlich falsche Antwort großzügig hinwegzusehen.
„Unser Coven trifft sich einmal im Monat, zum Austausch und für Rituale.“

Aha. Daher weht der Wind. Ein Anwerbeversuch. Ich fühle mich geschmeichelt, anscheinend war ich noch nicht übel genug aufgefallen, oder es war ihm egal.
„Was macht ihr da für Rituale?“
„Wir üben Kreise ziehen und sammeln positive Energie, ich organisiere mit der Fee Lily …“, er deutet zur fröhlich lachenden schwarzgekleideten Matrone an einem anderen Tisch, die mich vorhin schon verdächtig an ein orientalisches Ogerweibchen erinnerte, von der ich jetzt aber weiß, dass sie eine Fee ist, „… auch schon mal heidnische Hochzeiten oder wir machen Auftragsrituale.“

Zum zweiten Mal an dem Abend bekomme ich Blitzeis im Kleinhirn. Alles in mir schreit: Halt, nicht einmischen, nicht fragen, das wird böse enden, lass es sein, Klappe halten!

Das Wort rollt mir aber von der Zunge, ein kleiner Imp trägt es voller Enthusiasmus über den Tisch und schleudert es dem „Zauberer“ ins Gesicht:
„Auf-trags-ri-tu-a-le?“
„Ja, wir heilen Krankheiten, beseitigen Flüche, reinigen Plätze und so weiter.“

Er lächelt, sehr mit sich zufrieden. Ich hole Luft, bestelle noch ein Bier bei der gerade vorbeieilenden Kellnerin und ziehe in die Schlacht:

„Auftragsritual im Sinne von: Auftragsmord?“
„Natürlich das Gegenteil. Wir heilen und reinigen.“
„Und das klappt?“
„Sehr gut sogar, die Kunden sind sehr zufrieden.“

Ich kann es nicht fassen, das wird immer besser.

„Kunden? Heißt das, die zahlen auch noch Geld dafür?“
„Natürlich, aber nicht an uns. Wir verlangen einen freiwilligen Betrag für einen guten Zweck.“
„Und wenn der ‚Kunde’ zu wenig spendet oder gar nichts, was ist dann?“
„Dann wird der Zauber nicht funktionieren.“
„Wenn er aber zahlt, dann klappt das?“
„Ja.“
„Gibt es auch eine Geld-zurück-Garantie bei Nichterfüllung des Auftrags?“
„Nein.“ Er lacht, ich könnte schreien.
„Das heißt, euer Ritual klappt immer? Nachweisbar?“
„Ich denke schon. Es hat sich noch niemand beschwert.“
„Wie auch? Der Erfolg eines Rituals ist doch überhaupt nicht verifizierbar! Er wird nie feststellen, ob es geklappt hat.“

Mit so viel Widerstand hat er nicht gerechnet. Er glaubt ja, einer von den Guten zu sein, gute Dinge zu tun und jeder mit Verstand müsse das begreifen. Die Diskussion wird ihm merklich unangenehm.

„Was macht ihr denn, wenn es schief geht? Angenommen, der Kranke wird kränker, oder die Reinigung verändert die Energien zum Unangenehmen? Macht ihr dann Nachbesserungen?“
„Das war noch nie nötig. Wir ziehen immer einen festen Kreis.“
„Ihr zieht einen Kreis? Um was zu erreichen? Euch drinnen oder alles andere draußen zu halten?“

Das Gespräch zieht Zuhörer an, die sich aber dankenswerterweise nicht einschalten.
Er macht ein saures Gesicht: „Du hast offensichtlich noch nie ein richtiges Ritual gemacht. Ein Kreis dient dem Schutz der Teilnehmer.“
„Wovor habt ihr denn Angst?“
„Wir haben keine Angst, wir schützen uns nur.“
„Ja, wovor schützt ihr euch denn? Dämonen? Rote Drachen? Dem Bi-Ba-Butzemann? Wovor?“
Er verdreht die Augen und sagt: „Lass uns das beenden, das hat keinen Sinn.“

Ich will das noch nicht sein lassen. Da liegt mir zu viel am Herzen.

„Ich will mal versuchen, es Dir zu erklären.“ Grooßer Schluck vom Bier und dann weiter: „Hexen sind Teil der Göttlichkeit, die wir repräsentieren lassen durch ein männliches Prinzip und ein weibliches, Gott und Göttin, immer beide. Die Elemente stehen für die Bausteine unserer Welt, alle vier. Fehlt etwas, dann sind die Hexe und auch der Zauberer, da bin ich mir sicher, im Ungleichgewicht. Das wäre nicht gut, wenn man eigene Energie bearbeitet, erst recht nicht gut, wenn man Energie anderer Wesen auf diesem Planeten (und ich hoffe, ihr beschränkt euch auf die Erde) manipulieren will. Deswegen sind alle unsere Symbole auf gegenseitiger Abhängigkeit und Gleichgewicht ausgerichtet, der Kreis (ohne Anfang und ohne Ende, das Lied kennste bestimmt) in dem wir stehen, das Pentagramm, etc. Macht der Magier einen Schutzkreis, wo er Dinge ausschließt oder einschließt, dann fehlt der Großteil der Welt und das Experiment wird logischerweise schief gehen. Abgesehen davon, dass er zu erkennen gibt, dass er vor irgend etwas, das er nicht kennt, Schiss hat und das würde mich als ‚Auftragsgeber‘ skeptisch machen. Schutzzauber gehören in den Fantasybereich. Hier ist nicht Mittelerde und da bin ich sehr, sehr froh darüber.“

Noch ein Schluck. Bisher hört er noch ruhig zu.

„Den Kreis, den Hexen ziehen, der symbolisiert die Absicht, jetzt gemeinsam füreinander und miteinander zu feiern. Die Heilung und die Reinigung entsteht durch die Freude an der Gemeinsamkeit und der Befriedigung des Sozialtriebs. Sie kommt von jedem Teilnehmer von innen, von ihm selber. Jemand, der an dem Ritual nicht adäquat teilnimmt, der wird auch zwangsweise keinen Effekt verspüren. Flüche kommen genauso aus dem Menschen selber, weil er zB paranoid ist oder eine schlechte Erfahrung gemacht hat. Hier kann ein bisschen Hokuspokus tatsächlich nicht schaden, Aberglauben bekämpft man am besten mit Aberglauben. Wenn man jemanden verfluchen will, das wirst Du als professioneller Zauberer wissen, …“, die Imps kugeln sich auf dem Tisch vor Lachen, „... dann muss man immer dafür sorgen, dass derjenige es auch erfährt, gell?“

Er nickt: „Ja, der letzte Satz ist mal richtig.“
„Die anderen nicht? Hast Du wirklich zugehört?“
„Ja, habe ich, aber wer sagt, dass das so stimmt?“
„Ich sage das.“

Er zuckt mit den Schulter, um mir zu demonstrieren, wie wenig, das für ihn zählt. Ich beschließe, fertig zu werden, mein Besen will nach Hause.

„Und unter diesen Umständen ist es total unverantwortlich, Geld dafür zu nehmen, ein Ritual für jemanden durchzuführen.“
„Das haben die Hexen früher aber auch gemacht.“
„Nein, das haben sie nicht. Nie. Jedenfalls nicht die, denen wir nacheifern möchten. Nur die Scharlatane. Die, von denen ich spreche, wurden von der Gemeinschaft gefüttert und geehrt, weil sie da waren, wie eine Art Talisman. In der Nähe einer Hexe zu sein, versprach Glück, Gesundheit und Beständigkeit. Sie haben sie gerufen bei Geburten, wenn der Met nicht zu gären drohte und wenn man Angst hatte. Die haben aber nicht nach einer Art Gebührenverordnung jedesmal Geld gezahlt. Und bevor Du mir erzählst, dass Du Dir eine Ausbildung zur Hexe auch bezahlen lässt, gehe ich lieber und schreie die Wand an.“

Ich trinke aus, zahle und gehe. Hinter mir bleibt ein kopfschüttelnder Zauberer, der überzeugt davon ist, gerade mit jemand ganz Einfältigem gesprochen zu haben. Meine Worte sind zwar ins Ohr, aber dann gleich in den Darm anstatt ins Gehirn. Schade, dass Menschen nie wirklich zuhören.

Dafür lasse ich ihm die Imps da, die sollen noch ein wenig mit ihm spielen, solange er noch in keinen Schutzkreisbunker geflüchtet ist.