Geht man davon aus, dass ein erwachsener Mann mit Arbeit, Status und Familie fähig ist, vernünftige Entscheidungen zu treffen?
Er hat es zumindest schon ein paar Mal tun müssen.
Wie schwer kann ihn eine Midlife-Crisis wirklich treffen?

Ich bin zum Glück noch ein wenig von meiner eigenen Krise entfernt, aber gestern habe ich im Netz entdeckt, wie ein bekannter Nachrichtenmoderator bei einem von mir sehr geschätzten Kabarettisten saß und gestand, dass er als aufgewachsener Evangele sich irgendwann von der Kirche getrennt hat, nur um Jahre später wieder als Kathole einzutreten. Begründet hat er es mit einer Sinnsuche und dass unser Land christlich geprägt sei.

[ha!]
[Ja, bitte?]
[ach nichts …]
[Jetzt sag schon …]
[du schimpfst dann doch wieder mit mir]
[Nein, werde ich nicht. Du hast Zeit, bis ich meinen Kaffee ausgetrunken habe.]
[ehrlich?]
[Jaha.]
[das land hat mit christen nichts zu schaffen, ihr menschen könnt nur nicht loslassen von alten gewohnheiten, glaubst du, es gefällt uns, dass auf jedem berggipfel, auf strassenrändern und in den schönsten gärten, die christenkreuze als mahnung und erinnerung rumstehen, wenn ihr nur eine generation mal durchhalten würdet und den toten heiland tot sein lasst, dann würde danach niemand mehr auf die idee kommen diese absurde wahnidee auch nur ansatzweise als brauchtum zu betrachten sondern nur als das, was es ist, eine verwirrende unzusammenhängende geschichte voller gewalt und lügen …]
[Zeit ist um. Wow, kannst Du leidenschaftlich sein.]
[du lässt mich ja nie]
[Aus gutem Grund, wie man sieht. Wo war ich stehengeblieben … ach ja, die Sinnsuche.]

Welchen Sinn der gute Mann gesucht hat, verschließt sich mir. Von allen Religionen, die im Angebot stehen, ist doch gerade das Christentum die abgelaufene Ware am Wühltisch: unmodern, lose Fäden, falsche Nähte, die Größe stimmt nicht, der Preis aber drastisch reduziert und mit einem hippen Aktionsschild in bunten Farben versehen (Buddy Jesus! Sorry ... Insider). Wer das kauft, macht sich bei allen Peers gnadenlos lächerlich.

Wenn ich mich recht erinnere, hat es mir früher aber auch einen Riesenspaß gemacht, Klamotten zu kaufen, die so hässlich waren, dass sie wieder cool erschienen. (Guns ’n‘ Roses in den frühen Neunzigern. Seufz. Schön war’s.)
Woher die Ware kam und wie sie auf dem Familienfoto aussah, war mir doch egal. Der Vergleich hinkt, weil es keine doofe-Klamotten-tragen-Tradition in Deutschland gab, aber von der unorthodoxen Herangehensweise her vergleichbar.

Denn die Frage, die man sich stellt, ist: Wieso?

Ich habe die Bibel, die ja angeblich die Grundlage des christlichen Glaubens sein soll, mehrfach studieren müssen. Und mich ärgern einfach ein paar Dinge, die anscheinend überlesen werden oder ausgelegt, bis nix mehr vom Sinn da ist. Trotzdem bleibe ich dabei: Laut Vorschrift, hat ein Christ die Bibel als wahr anzusehen und daran nicht zu rütteln, da sind die im Vatikan sich einig.

Wir kennen den schönen Auszug aus Levitikus, einem Regelwerk von Moses, der absolut aktuelle Themen aufgreift wie den für den Herrn lieblichen Duft eines brennenden Stiers oder den Preis einer in die Sklaverei zu verkaufenden Tochter. Klar, wir wissen, dass das veraltet ist, aber wieso nehmen die das dann nicht raus aus dem Buch oder ersetzen es durch Regeln, was zu tun ist, wenn ein Mitspieler bei World of Warcraft die magische Elfenklinge stielt, oder ob die Goldketten der Hiphopper die 1-Kilo-Grenze überschreiten dürfen? Ab wann man diese Missetäter niederstrecken darf, interessiert die Menschen doch heute viel mehr, als die Greuel, wenn man Schalentiere isst.

Gerade das alte Testament ist überhaupt nicht mehr relevant, aber solange sich die christlichen Chefs nicht auf eine neue Wahrheit einigen können, müssen sich alle ihre Schäflein nach Vorschrift daran halten. Es ist ja zugegebenermaßen schon ein ziemliches Dilemma, einerseits zu sagen, es gibt nur eine Wahrheit und wer was anderes sagt, fährt zur Hölle und andererseits mit einer sich rapide wandelnden Welt zu tun zu haben.

Die Juden sind auch gar nicht glücklich darüber, wie die Christen ihr schönes Buch hernehmen, es „alt“ nennen, und mit ihrem „neuen“ Buch zu einem übelschmeckenden Brei vermischen, dem man die Zutaten nicht mehr ansieht. Die Juden, die ich für ihren Scharfsinn und ihren Humor sehr schätze (und von den Israelis, die einen grausamen, arroganten und ungerechten Krieg in Palästina führen, strikt trennen muss), machen klar, dass das alte Testament nicht wörtlich zu nehmen ist. Sie benutzen es, um sich ihre Geschichte zu vergegenwärtigen und das Werk ihrer Ahnen zu ehren.

KEINER unserer Ahnen in Deutschland ist jemals im babylonischen Exil gewesen, hat den Pharao mit Fröschen beworfen und in der Wüste Wachteln gegessen. Wir haben jede Menge Brudermörder, das ist dann aber auch die einzige Beziehung zu dem Buch.

Aber eigentlich kam ich durch etwas ganz anderes auf die Idee, dieses Thema anzuschneiden. Ich war gestern Abend am See angeln. Sobald die Sonne sich dem Horizont zuneigt, kommen sie auch schon raus und fliegen ihre Selbstmordattacken: Mücken. Riesige Mücken. Dumm, schwerfällig, fieses Geräusch, tun weh und sind einfach nur lästig.

[und jetzt fragst du dich, ob die Zeugen Jehovas aus der Rippe einer Mücke gemacht wurden?]
[Quatsch. Was ist heute mit Dir los? Du bist ziemlich gehässig.]

Ich mag den guten Noah dafür, dass er, ohne sich davon abbringen zu lassen, unter den Augen spöttelnder Nachbarn, eine Arche gebaut hat und als sehr wunderlich gelten musste. Er durfte ja niemandem sagen, wofür er das Riesending in seinem Vorgarten stehen hatte. Um ihn herum versank die Welt in Sünde, nur er hielt an seinem Traum fest. Ich stelle mir dann vor, dass er schon mal über den Zaun zu seinem Nachbarn im Pool rübersieht, der da gerade an einem Sabbat mit leichten Damen Cocktails schlürft und sein Spanferkel verschlingt und Noah wirft ihm voller Zorn einen sarkastischen Kommentar rüber, á la: „Hej, wie lange kannst Du eigentlich Wasser treten, bevor Du versinkst?“ Der Nachbar schüttelt dann zwar den Kopf über den seltsamen Kauz, dessen Schiff ihm die Einfahrt versperrt, aber lässt ihn links liegen.

Als dann der Moment kam und Noah die Tiere auswählen musste, wieso um alles in der Welt hat er die Mücken und die Zecken nicht dagelassen? So ein Tierfreund kann man gar nicht sein. Und kommt mir nicht mit ökologischem Gleichgewicht. Ich bin mir sicher, ein anderes Tier wäre gerne in die Bresche gesprungen. Vielleicht Schmetterlinge? Das wäre doch wirklich schön gewesen.

Ja, und das ist der Grund, warum ich sauer auf Noah bin.