Ich wohne zur Zeit im Ruhrgebiet. Unlängst gab es in meiner Nähe eine größere Veranstaltung, die in einer Tragödie endete.

Sie nannten es Parade der Liebe, allerdings wurde es eine Todesfalle auf Ansage.

Ich will hier auch gar nicht mehr darauf eingehen, wie mies die Planung, das Verhalten der Schuldigen und der Umgang mit Verantwortung gehandhabt wurde. Aber es ist dieses Leid, das plötzlich über Familien meiner Stadt hereingebrochen ist, das durch seine örtliche Nähe mein Gemüt beschwert.

TOD: "Verfolgst Du mich eigentlich?"

Ich: "Gerade wollte ich Dich dasselbe fragen."

TOD: "Ich bin beruflich hier."

Ich: "Es zieht mich eben an Orte, an denen man den Übergang in andere Welten fühlen kann. Wo so viele Menschen gemeinsam ihre Seele ausgehaucht haben, da fühlt man die Kante."

TOD: "Davon verstehe ich nichts."

Ich: "Stimmt, du bist ja auch immer überall gleichzeitig. Das stelle ich mir genauso langweilig vor wie alle Filme einer Videothek zu kennen und trotzdem einen zu leihen."

TOD: "Ich geh mal besser arbeiten."

Ich: "Ich komme mit."

TOD: "Ist das Dein Ernst?"

Ich: "Habe ich vorhin doch schon gesagt. Ich finde, dass wir viel zu selten dem echten Tod begegnen. Früher wurden die gestorbenen Großeltern noch in der Stube aufgebahrt, heute sieht man nur eine Vase mit Asche.
In Malaysia mussten unlängst Nachwuchsimame um die Wette Tote waschen. Da würden bei uns manche lieber ins Dschungelcamp, denke ich."

TOD: "Aha."

Ich: "Und wenn in Deutschland mal 20 Menschen unnötig auf einmal sterben, dann können wir uns noch so richtig darüber beklagen. Das ist doch eigentlich eine großartige Entwicklung innerhalb von ein paar Hundert Jahren!
Zu einer Zeit, wo ständig ganze Familien, Sippen und Stadtteile in kürzester Zeit von Krankheit und bösen Menschen dahingerafft wurden, war das Sterben alltäglicher Begleiter."

TOD: "Ich weiss."

Ich: "Andererseits hatten die dann vielleicht auch weniger getrauert. Ich kann es mir nicht vorstellen wie die das damals verarbeitet haben. Ich würde durchdrehen. Und die mussten einfach weitermachen, immer weiter."

TOD: ...

Ich: "In Haiti sind über 200.000 Menschen gestorben, in Pakistan fangen wir an, uns auf den Tod von einem Drittel der Menschen vorzubereiten.
Bin ich herzlos, wenn ich dann für die paar Opfer der Loveparade nicht viel Mitleid mehr übrig habe, weil das irgendwie verschwimmt? Ich kannte die doch genauso wenig wie die Toten in Übersee."

Der TOD hält an und stützt sich schwer auf seine Sense. Ich weiss, dass er eigentlich nicht nachdenken muss, aber ich finde seine Bemühungen, menschliches Verhalten zu kopieren, irgendwie nett.

TOD: "Unterbrich Deine Gedanken und höre mir mal kurz zu. Ich denke, Du ruhst Dich besser ein wenig aus. Zu viele Gedanken sind nicht gut für euch.
Ich bewundere euch Menschen gerade für die Fähigkeit, zu verarbeiten und zu vergessen. Daraus schöpft ihr Kraft. Das ist die Quelle für euer Glück und eure Zufriedenheit. Grundloser Optimismus ist Magie. Richtige Magie, die nie versagt."

Er hat, wie immer, recht.
Man übersieht meistens genau das Offensichtliche und Alltägliche. Wir haben so wenig Zeit und noch so viel zu Lernen ...