Wir waren jetzt über die Karnevalstage unter anderem beim Feuerradrollen. Das ist ein herrlich archaischer Event. Mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar aus einer Zeit, wo es das Wort Event noch gar nicht gab. Obwohl die Gegenden, in denen das alte Brauchtum noch lebendig ist, sehr christlich geprägt sind, halten diese Menschen doch, ohne dass sie es wissen, die heidnische Fahne hoch. Vielleicht gibt es einen Menschenschlag, der Mystik mehr braucht und verfolgt, als andere. Die haben eben genommen, was sie kriegen konnten. Und sei es, einen gruselig zu Tode gefolterten Lattenjupp ins Winkerl über den Esstisch zu hängen, zur Abschreckung der Kinder, oder als leuchtendes Beispiel, ich weiss es auch nicht.

Dieses Jahr trafen wir zum ersten Mal, seit wir dieser Tradition hinterherlaufen, auf einen sternenklaren Himmel und Schnee. In den letzten Jahren war es eher kalt und matschig, da machte das bei weitem nicht so viel Spaß. Nun gut, anstrengend war es mit den kleinen Kindern, die es entgegen der Propaganda in Kinderfilmen überhaupt nicht toll finden, durch tiefen Schnee zu stapfen, aber sie haben sich tapfer den Berg hochgequält.

Ich musste wieder den alten und doch sehr modernen pädagogischen Trick anwenden, dass man ihnen etwas versprechen muss, vor dem sie sich eigentlich gruseln oder ekeln. Wenn es also Spaghetti mit Tofubällchen gibt, essen sie das nur, wenn sie davon zu überzeugen sind, dass das Molchaugen auf blutigem Froschgekröse ist und in dieser Nacht näherten sie sich klopfenden Herzens dem Feldlager der Goblinmeute, die lautstark auf dem Gipfel des Hügels um das Lagerfeuer tanzte.

Sie waren nicht allzu sehr enttäuscht, dass das dann doch nur die Jungs aus dem Dorf waren, die sich mit Alkohol stärkten und dann unter den Augen des Feuerwehrmanns die Strohballen präparierten.

Wir waren fast die einzigen Zuschauer, die sich den Berg hochgewagt hatten. Und eigentlich tat ich das nur meiner Frau zuliebe, die (zurecht) meinte, dass man oben bessere Fotos machen kann. Ein wenig wehmütig blickte ich aber nach unten ins Tal, woher das Gelächter des Mobs am Glühweinstand hochdrang.

Es war wohl usseliger, als in den Jahren davor, denn dann ging auf einmal alles sehr schnell. Auf einem versteckten Fußweg waren wieder einmal ganz heimlich die Kinder des Dorfes in Begleitung hochgekommen (wie jedes Jahr nehme ich mir vor, nächstes Mal den Weg bei Tageslicht zu suchen, damit wir nicht durch Schnee und/oder Matsch hochkriechen müssen), nahmen sich je eine Fackel, entzündeten diese und eilten in einer Reihe singend zu Tale. Da, wie gesagt, zum ersten Mal, seit wir da waren, Schnee lag, bewunderte ich den Kontrast der dunklen Gestalten, die wie kleine Feuergeister vor dem weißen Hintergrund hin und her schwirrten.

Dann mussten wir etwas abseits gehen, denn es kam mein Lieblingsteil. In zwei Reihen zu je vier Männern stellten sich die mutigsten oder betrunkensten Kerle mit einem großen Strohballen an einer Kette mit gehörigem Abstand voneinander auf. Einer ging herum und entzündete die Ballen und dann begannen sie gemeinsam ihre Last im Kreis um sich herum zu wirbeln. Nicht zu schnell, denn es war sehr schwer, aber auch nicht so langsam, dass das Feuer ausgehen konnte oder in den Schnee fiel.
Es ist ein beeindruckendes Bild, ob von unten im Tal, wo man nur die wirbelnden Feuerkreise sieht, oder von oben, angesichts der schnaufenden Männer, die ihre ganze Kraft aufbieten müssen, die Kreise kontinuierlich zu ziehen. Wie jedes Jahr fehlt mir nur der Soundtrack dazu. Es müsste mit Sicherheit ein Lied von Rammstein sein, am besten „Sonne“. Aber auch so fühlt man die Kraft dieses Rituals. Wie bei Krabat, wo die Mühlenknappen schuften müssen, bis das Pentagramm auf ihrer Stirn vom Schweiß weggewaschen wird, drehten sich die brennenden Keulen, bis das Stroh aufgezehrt war. Erst dann ließen sie ab.

Doch die eigentliche Attraktion, wegen der so viele angereist waren, begann jetzt erst. Ein mannshohes meterdickes Rad aus Stroh wurde in Stellung gebracht, links und rechts davon stellten sich acht oder zehn Jungs hin und fassten den dicken Stamm, der durch das Rad gesteckt worden war. Da es dieses Jahr schneeglatt war, war die allgemeine Nervosität spürbar. Keiner wollte ausrutschen und dafür sorgen, dass das brennende Rad unkontrolliert zu Tale rollte. Aber mit vereinten Kräften ging es gut und die glühende Spur, die der brennende Ball verursachte, erlosch ziemlich schnell im Schnee.

Nach insgesamt 15 Minuten war der ganze Spuk auch schon zu Ende. Jetzt ist es ja Brauch, über die Spur zu hüpfen um sich Glück und Wohlstand und wahrscheinlich auch Fruchtbarkeit zu sichern, aber das war in diesem Jahr schwer, wegen dem Schnee, der die zischenden Fünkchen schnell erstickte. Trotzdem fanden wir noch ein brutzelndes Häufchen, fassten uns an den Händen und sprangen in unser Glück. Ohne Hinzufallen.